Legalisierter Raub. Der Fiskus und die Ausplünderung der Juden in Hessen 1933 - 1945

Familie Kugelmann: „Es war eine schwere Zeit“

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Schrittweise ausgegrenzt, diskriminiert und ihrer wirtschaftlichen Grundlage beraubt, sahen sich immer mehr Juden genötigt, Korbach verlassen zu müssen. Siegmund Kugelmann, 1881 in Korbach geboren und aufgewachsen, seit 1909 eine Metzgerei in der Lengenfelder Str. 9 betreibend, emigrierte 1935 mit seiner Familie nach Argentinien. Ehemals verkaufte Siegmund Kugelmann vor allem Fleisch- und Wurstwaren an Arbeiter und Angestellte der Continentalwerke. Nach Ausgrenzung jüdischer Geschäftsleute erlitt er bereits 1933 erhebliche Einbußen. Er geriet infolge erheblichen Geschäftsrückganges in finanzielle Schwierigkeiten und musste 1935 sein Geschäft aufgeben.

Lengefelder Str. 9,
zweites Haus von rechts
(Foto: Stadtarchiv Korbach)

Leopold Oppenheimer, Viehhändler aus Bad Wildungen, hat berichtet: „Ich erinnere mich, dass Herr KUGELMANN mir damals ganz verzweifelt erzählte, wie man seine Kunden am Betreten seiner Geschäftes gehindert und fotografiert hätte und dass man auch zu einer anderen Zeit den Arbeitern der Continentalwerke verboten hatte, bei ihm zu kaufen. Im Jahre 1935 wanderte Herr KUGELMANN nach Argentinien aus, nachdem, wie er mir damals sagte, ihm die Erlaubnis zur Fortführung des Gewerbebetriebes entzogen worden war. Er hat dann seine ganze Einrichtung verkaufen müssen – und – wie er mir sagte – zu sehr billigen Preisen. Ich weiss aus eigener Erfahrung, dass damals für die Möbel und Einrichtungen von Juden, die auswanderten, so gut wie nichts gezahlt wurde.“ Siegmund Kugelmann musste sein Hab und Gut zu einem Bruchteil des eigentlichen Wertes verkaufen

Der Tochter, Friederike, wurde im Juli 1933 als Buchhalterin in Korbach gekündigt, weil sie Jüdin war. „Mitglieder der SS kamen ins Büro der Firma und verlangten die Entlassung“. Als Jüdin war es nahezu aussichtslos, eine neue Anstellung zu bekommen. Sie ging nach England. Weil den Eltern keine Devisen für den Unterhalt der Tochter bewilligt worden waren, sie aber auch durch die Wirtschaftskrise keine Arbeitsbewilligung erhalten hatte, musste sie notgedrungen nach Deutschland zurückkehren.

Das Ehepaar emigrierte 1935 mit seinen Kindern Clara, Ernst und Friederike nach Südamerika. Der Neuanfang in Argentinien war alles andere als leicht. Auf ein Leben in der Wildnis unvorbereitet, kämpften sie um ihr Überleben: „Es war eine schwere Zeit.“ Sie bekamen ein Stück Land mitten in der Wildnis, rodeten es und versuchten sich als Landwirte. Die Ernte fraßen die Heuschrecken. „Das schlimmste waren die Schlangen“. 1946 erhielt die Tochter Friederike die Möglichkeit, in die USA zu gehen. Später erhielt ihr Ehemann eine Anstellung im Pentagon, die Tochter Ursula arbeitete für die amerikanische Regierung. Ursula hatte sogar Kontakt zu Präsident Nixon und Vizepräsident Agnew. Siegmund Kugelmann starb am 06. April 1967 in Alcaraz/Argentinien. Wiedergutmachungsakten belegen, dass trotz erfolgten Unrechts Entschädigungszahlungen vorenthalten wurden.

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