151.

Wittgenstein, Karl Otto Clemens, Industrieller (aus Nr. 150)
* 08.04.1847 in Leipzig,
+ 20.01.1913 in Wien

oo 14.02.1874 in Wien mit Leopoldine Kallmus,
* 19.03.1850 in Wien
+ 03.06.1924

Das Ehepaar hatte 8 Kinder, die in der Religion ihrer kath. Mutter erzogen wurden, und zwar 3 Töchter (Hermine, Helene; Margarethe) und 5 Söhne (Hans + 1902 in Amerika, Rudolf + 1904 in Wien, Kurt + 27.10.1918; alle drei endeten durch Selbstmord. Der zweitjüngste Sohn Paul verlor im I. Weltkrieg den rechten Arm, wurde aber trotz dieser Behinderung ein bekannter Konzertpianist. Dem jüngsten Sohn Ludwig Josef Johann, der als Philosoph weltweit bekannt wurde, sollen am Schluß der Betrachtung dieser Familie noch einige Zeilen gewidmet werden.

Vorher zurück zu Karl Wittgenstein, des uns mit Lebensdaten bekannten Sohnes des ursprünglich Korbacher Kaufmanns und Wollhändlers Hermann Christian (Herz) Wittgenstein.

Karl hatte ein sehr bewegtes Leben. Mit 17 Jahren, nachdem er das Gymnasium vorzeitig verlassen mußte, ging er 1864 nach New York, wo er mittellos eintraf und sich in den verschiedensten Tätigkeiten (Kellner, Violinspieler, Nachtwächter, Steuermann) durchs Leben schlug. Im Jahr 1867 kehrte er reumütig zur Familie nach Wien zurück.

Hier besuchte er die Techn. Hochschule, ging aber alsbald in die Praxis und sammelte Erfahrungen in verschiedenen technischen Disziplinen. Sein großes technisches Verständnis, sein Organisationstalent, seine glückliche Hand in finanziellen Dingen ließen ihn bis zum Zentraldirektor der Prager Eisenindustriegesellschaft aufsteigen. Seine Position in der österreichischen Schwerindustrie wurde mit der Stellung Krupps in Deutschland verglichen. Obwohl Wittgenstein in erster Linie Geschäftsmann war, wurde seine Familie auch zu einem Zentrum des gesellschaftlichen und geistigen Lebens in Wien. Kunst und Wissenschaft wurden gefördert, insbesondere spielte die Musik eine wesentliche Rolle. Karl spielte selbst Violine.

Ludwig, der spätere Philosoph, schien zunächst die technische Laufbahn einschlagen zu wollen, denn er befasste sich schon als Kind mit technischen Basteleien. Nach dem Abitur im Jahr 1906 begann er ein Ingenieurstudium an der Techn. Hochschule in Berlin, wechselte 1908 zur Universität Manchester in England und befaßte sich mit der Konstruktion von Drachen und Ballonen, er konstruierte auch einen Flugzeugmotor. Letztlich setzte er seinen Weg als Techniker nicht fort und wandte sich der Philosophie zu und wurde in dieser wissenschaftlichen Disziplin weltweit bekannt.

Während seiner Studienjahre in England hielt er sich mehrfach für längere Zeit in Norwegen auf. Bei Ausbruch des 1. Weltkrieges war er besuchsweise bei seiner Mutter in Wien. Er meldete sich als Kriegsfreiwilliger, leistete zunächst Dienst auf einem Wachschiff auf der Weichsel, war danach in einer Artilleriewerkstatt tätig und kam anschließend als Artilleriebeobachter 1916 an die galizische Front. Ende 1916 wurde er zum Fähnrich befördert. In italienischer Kriegsgefangenschaft geriet er 1918 und befand sich bis August 1919 auf dem Monte Cassino. Nach seiner Rückkehr verschenkte er seinen Anteil am beträchtlichen Vermögen seines 1913 verstorbenen Vaters an seine Geschwister, nachdem er bereits vorher, der Tradition seines Vater folgend, größere Summen zur Unterstützung mittelloser Künstler gestiftet hatte. Ludwig ließ sich zum Volksschullehrer ausbilden und übte diesen Beruf an verschiedenen österreichischen Volksschulen bis zum Jahr 1926 aus. Anschließend war er einige Zeit als Klostergärtner tätig, versuchte sich als Architekt und kehrte 1929 nach Cambridge zurück, erlange dort den Grad eines Doktors der Philosophie, wurde Professor in Cambridge, nachdem er nach dem Anschluß Österreichs an Deutschland im Jahr 1938 die britische Staatsangehörigkeit angenommen hatte.

Während des 2. Weltkriegs war er als Laborant in einem Hospital tätig, hielt aber wöchentlich Vorlesungen in Cambridge und wurde dort ab 1944 wieder als Professor, bis er die Professur 1947 niederlegte. In der Folgezeit lebte er in völliger Einsamkeit in Irland, befaßte sich mit philosophischen Untersuchungen. Nach schwerer Krankheit verstarb er am 29.04.1951 in Cambridge, wo er auch begraben liegt.

In der „Brockhaus Enzyklopädie“ 17. völlig neugearbeitete Auflage des Großen Brockhaus; F.A. Brockhaus 1974 wird folgendes über Ludwig Wittgenstein ausgeführt:

 

 

152.

Wittgenstein, Jakob (aus 148), der in Korbach bekannteste Sproß der Familie Wittgenstein, war zunächst im väterlichen Geschäft tätig. Ehrenamtlich betätigte er sich als Mitbegründer und Schriftführer des Korbacher Bürgervereins von 1848. Nach der Revolution im Jahr 1848 wurde er als Angehöriger der Demokratischen Partei Abgeordneter des Waldecker Landestags, zog sich aber alsbald wieder aus der Politik zurück. Im Jahr 1851 erwarb er das Korbacher Bürgerrecht. 1858 übersiedelte er in die Hauptstadt Berlin, wo er es vorwiegend durch Grundstücksgeschäfte zu einem beträchtlichen Vermögen brachte.


Die Verbindung zu seiner Heimatstadt ließ er nie abreißen. Seine Verbundenheit zu Korbach kam durch mehrere Stiftungen zum Ausdruck. Bereits im Jahr 1857 stockte er die von seinem Großvater, dem Hoffaktor Moses Meier Wittgenstein, 1821 zu Wohle der Ortsarmen gemachte Stiftung von 100 Talern um weitere 100 Taler auf.

Die Zinsen sollten ebenfalls den Wortsarmen zugute kommen. Im Jahr 1884 errichtete er die nach seinen Eltern benannte „Simson und Rebecca Wittgenstein Stiftung“ in Höhe von 15.000,- Mark (später auf 16.000,- Mark erhöht), deren Zinsertrag bedürftigen Schülern des Landesgymnasiums Korbach dienen sollte. Die „Corbacher Zeitung“ berichtete aus dieser Zeit verschiedentlich über Geldspenden, die Jakob Wittgenstein dem Landesgymnasium und auch der Kleinkinderschule (Kindergarten) zukommen ließ. Im Mai 1885 wurde Jakob Wittgenstein vom Fürsten Georg Viktor der Waldeckische Verdienstorden 2. Klasse verliehen

Über die Ordensverleihung berichtete der „Waldeckische Anzeiger“ vom 4. Juni 1885. Aus diesem Artikel geht auch hervor, dass Wittgenstein sich tatkräftig und erfolgreich für den offenbar gefährdeten Fortbestand des Landesgymnasiums in Korbach einsetzte, als Preußen durch den Akzessionsvertrag mit Waldeck im Jahr 1867 die innere Verwaltung des Landes Waldeck übernahm.

„Nachrichten aus dem Fürstenthum.
- Corbach, 31. Mai. Seine Durchlaucht der Fürst hat dem Herrn Rentier Jakob Wittgenstein in Berlin den waldeck`schen Verdienstorden zweiter Klasse verliehen. Diese Auszeichnung hat allgemeine Freude hervorgerufen. Herr Wittgenstein, geborener Corbacher, war bis 1863 unser Mitbürger und betrieb hierselbst ein großes Fruchtgeschäft, in dem er sich ein bedeutendes Vermögen erwarb. Auch nach seiner Übersiedlung nach Berlin bewies er bei den verschiedensten Gelegenheiten seine liebevolle Anhänglichkeit an seine alte Heimath. Er machte den milden Anstalten unserer Stadt, vor allem dem Hospital und dem Rüdigerstift, sowie den Wohlthätigkeitsvereinen vielfache reiche Geschenke an baarem Gelde und Werthgenenständen; das Gymnasium erhielt von ihm prachtvolle und Theure Werke der Kunst (z. B. die Kaulbach`schen Treppengemälde in großen Stahlstichen, die jetzt die Aula schmücken) und Wissenschaft, außerdem zirka 10 000 Mark zur Stiftung eines Stipendiums. Der Frauenverein, der die Erbauung einer Kleinkinderschule beabsichtigt und zu diesem Zwecke eine Lottereie veranstalten will, empfing vor Kurzem eine Stattliche Anzahl kostbarer Gemälde, die verloost werden sollen.

- Herr Wittgenstein ist es auch zu verdanken, daß das Gymnasium der Stadt und überhupt dem Lande erhalten blieb. Als er nämlich in Berlin erfuhr, daß bei Abschluß des Accessionsvertrages die preußische Regierung die Absicht hege, das waldeck`sche Landesgymnasium eingehen zu lassen, und daß die waldeck`schen Unterhändler sich hierzu passiv verhielten, brachte er sofort Alles in Bewegung, setzte sich mit einflussreichen Persönlichkeiten in Preußen und Waldeck, die zu dem Kreise seiner Bekanntschaft gehörten, in Verbindung, und seinen rastlosen Bemühungen, seinem energischen Dazwischentreten gelang es, Corbach und das Fürstenthum vor dem schweren drohenden Schlage zu bewahren. - Und wie er den allgemeinen Interessen seines engeren Vaterlandes reges Wohlwollen widmete, so war er jedem einzelnen seiner Landsleute, der ihm darum jedem einzelnen seiner Landsleute, der ihm darum anging, Berather und Helfer in der Noth. Wie viele Waldecker sind durch seinen Beistand aus schwerer Bedrängniß gerettet! Wie Viele sind durch ihn zu sicherer Existenz gelangt! Es isst darum mit lebhafter Genugthuung begrüßt worden, daß nun an höchster Stelle seine zahlreichen Verdienste Anerkennung gefunden haben. (H. M.)“

Im Privatleben war Jakob Wittgenstein weniger erfolgreich. Die Ehe mit Clara Lippert wurde 1871 vom Stadtgericht Berlin geschieden. Seine einzige Tochter starb im Kindesalter. Gesundheitliche Probleme hatte er durch ein Augenleiden, das sich stetig verschlimmerte. Durch letztwillige Verfügung vom 5. Januar 1885 setzte er die Stadt Korbach, abgesehen von einigen Legaten, als Alleinerbin seines beträchtlichen Barvermögens ein. Er verband damit die Auflage, daß die Stadt ein Heim für arme, alte Leute zu bauen und einzurichten habe, in dem die Insassen unentgeltlich aufgenommen werden sollten. Das Heim sollte den Namen „Jakob Wittgensteinsche Altersversorgungsanstalt“ tragen. Am 3.6.1890 setzte Jakob in Berlin seinem Leben ein Ende. Die Stadt Korbach erbte nach Abzug von Legaten und Kosten rd. 500.000 Mark In den Jahren 1892 – 1894 wurde das Altersheim gebaut und bis zum Jahre 1984 betrieben. Das Baugrundstück in Größe von 40 ar bekam die Stadt von Amtsgerichtsrat Dr. Waldeck mit der Auflage geschenkt, daß sie 1000 Mark für die damals anstehende Renovierung der Kilianskirche beisteuert. Heute befindet sich in den Räumen die Verwaltung des Stadtkrankenhauses. Das Altersheim Wittgenstein wurde zusammengefaßt mit dem Altersheim „Hospital“ 1984 in einem am Nordwall errichteten Neubau verlegt.


Jacob Wittgensteinsche Altersversorgungsanstalt

Jacob Wittgenstein wurde seinem Wunsche entsprechend neben seinen Eltern am 09.06.1890 auf dem jüdischen Friedhof beigesetzt.
Die „Corbacher Zeitung“ berichtete hierüber am 10.06.1890 folgendes:


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