Familie Lebensbaum

(Stationen der Verfolgung)

Bernhard Lebensbaum, geboren 1882 in Solz, Krs. Rotenburg, kam 1920 als Kriegsversehrter nach Korbach, nachdem er im Ersten Weltkrieg als Kriegsfreiwilliger so stark verwundet worden war, dass ein Oberschenkel amputiert und durch ein Holzbein ersetzt werden musste. Er trat am 1. Juni 1920 beim Amt Korbach als Helfer in den Postdienst ein. Der Krieg hatte ihn derart gezeichnet, dass er – als junger Mensch - eine 80%ige Erwerbsminderung davontrug.

Bernhard Lebensbaum fühlte sich als Deutscher jüdischen Glaubens. Noch im gleichen Jahr heiratete er in Korbach die Jüdin Henry Blumenthal. Am 8.10.1921 erblickte ihr Sohn Kurt das Licht der Welt. Die Ehe war aber nur von kurzer Dauer. Das tragische Schicksal wollte es, dass seine Frau Henry neun Tage nach der Geburt des Kindes starb.

Am 17.1.1923 heiratete Bernhard seine zweite Frau, die in Berlin-Charlottenburg geborene  Therese Lewin, eine Haushälterin. Sie bekamen die Töchter Ruth (*1924) und Gertrud (*1928).

Spielschule 1932 B3

Spielschule Korbach 1932, Entengasse
Ruth (oben) und Gertrud (unten) befinden sich in der markierten Bildmitte.

Zusammen mit dem Sohn Kurt, der eine Ausbildung zum Koch machte, die seine Emigration erleichtern sollte, bewohnte die Familie Lebensbaum das Haus in der Hagenstraße 12. Im Gegensatz zu seiner Familie konnte Karl 1938 nach Cambridge/England emigrieren.

hagenstraße12

Das ehemalige Wohnhaus der Familie Lebensbaum in der Hagenstr. 12,
Dezember 2007

Ihre obere Wohnung hatte Herr Lebensbaum an den Marinevereinsvorsitzenden Herrn Spohr vermietet. Bernhard Lebensbaum, gehbehindert,  ließ den Garten von Herrn Leßmann pflegen, einem Mitarbeiter der Conti-Werke. Ihn kannte Herr Spohr noch aus dem Ersten Weltkrieg.

Nach der Machtübernahme Hitlers (30.1.1933) betrieben Nationalsozialisten verstärkt auch in Korbach öffentlich Hetze gegen ihre deutschen Mitbürger jüdischen Glaubens. Viele wurden zur Auswanderung gedrängt.

Als eine von wenigen jüdischen Familien blieb die Familie Lebensbaum in Korbach wohnen, obwohl Bernhard Lebensbaum aufgrund seiner jüdischen Abstammung am 31.12.1935 gezwungen worden war, in den Ruhestand zu treten. Wovon sollte er nur seine Familie ernähren?

Seine Schwester Rosa Lebensbaum, die in Kassel wohnte, blieb dagegen von der Judenverfolgung verschont, da sie einen Christen, Herrn Fischer, geheiratet hatte.


Meldekarte Lebensbaum

Mit der Verordnung vom 17. August 1938 erfolgte die Einführung der jüdischen Zwangsnamen „Sara“ bzw. „Israel“ (zum 1. Januar 1939). Neue Pässe mussten erstellt werden. Bernhards letzter Pass vom 27.02.1939 zeigt in  der Bildmitte unübersehbar das brandmarkende „J“ [für Jude], den Abdruck seines rechten und linken Zeigefingers und den Zwangsvornamen „Israel“.

Für die Korbacher Juden war Einkaufen nur noch in der Mittagspause zwischen 14 Uhr und 15 Uhr erlaubt, in einer Zeit, in der die Läden für nichtjüdische Bewohner geschlossen waren. Händler waren keineswegs verpflichtet, Juden zu bedienen.

Mit der Einführung des Judensterns war jedem Außenstehenden ersichtlich, wer Jude war. Dies stellte eine weitere Stigmatisierung dar. Aus Angst und Scham trauten sich nur noch wenige Korbacher Juden auf die Straßen.

Den Einkauf übernahm die Familie Leßmann, die die Lebensmittel dann heimlich abends vorbeibrachte. Dafür durfte die Tochter Marianne dann immer in den Büchern von Ruth und Gertrud Lebensbaum lesen oder ausleihen, da sie viele Bücher besaßen.

Am Abend des 9. November 1938 wurden die Synagoge und jüdische Schule angezündet (Tempel 5, heute befindet sich dort der städtische Kindergarten). Noch wurden jüdische und nichtjüdische Schüler zusammen unterrichtet, doch mit Erlass vom 18. November 1938 mussten in Waldeck, wie im ganzen übrigen „Reich“, jüdische Schüler öffentliche Einrichtungen verlassen, da es fortan keinem Lehrer und keiner Lehrerin zugemutet werden könne, jüdische Schüler und Schülerinnen zu unterrichten.
Auch könne es nichtjüdischen Schülern nicht zugemutet werden, gemeinsam mit jüdischen unterrichtet zu werden.

Reichsweit verblieben nur noch wenige Einrichtungen, die den jüdischen Schülern und Schülerinnen offen standen. Träger dieser Institutionen wurde mit der 10. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 04.07.1939 die „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“.

Nach Besuch einer Einrichtung in Kassel (Große Rosenstraße 22) kam Gertrud Lebensbaum 1941 nach Detmold in eine kleine jüdische Schule, die zeitweise von 22 Schülern und Schülerinnen besucht wurde.

Nur ein Schüler stammte aus Detmold selbst, die anderen kamen zum Beispiel aus Brilon, Rhoden in Waldeck, Korbach, Bad Driburg, Höxter oder Beverungen.

Aber auch die Schule brachte den jüdischen Kindern keine Sicherheit vor antisemitischen Angriffen. Übereinstimmend berichten Gertruds Mitschülerinnen Karla Raveh und Ruth Margalit von tätlichen Übergriffen auf die jüdischen Schüler/innen, von eingeworfenen Fensterscheiben, davon, dass der Schulweg jedes Mal „ein Spießrutenlauf war“.

Seit 1940 zwangsweise vom Elternhaus räumlich getrennt, verblieb Gertrud nur noch wenige Zeit im Kreise der Familie, und das alles nur, um bescheidene Bildungschancen wahrnehmen zu können. In den letzten beiden Jahren vor der Deportation sah sie ihre Eltern nur zweimal: vom 9.8.1941 bis zum 6.9.1941 (Meldedaten) und noch einmal kurz ab dem  27. März 1942.

Am 15. Juli 1942 erfolgte ihre Deportation. Es bedurfte also gar nicht mehr des Verbots „jeglicher Beschulung jüdischer Kinder“ durch Erlass vom 07. Juli 1942.

Nach einem kurzen Aufenthalt zu Hause, bei dem sich die Familie Lebensbaum von allen Nachbarn bei Kaffee und Kuchen verabschiedete, wurden alle im Juli 1942 über ein Sammellager in Kassel (Ruth kam in das jüdische Kinderheim in der Mombachstraße 17, die Eltern  in die Schillerstraße 7) in das Konzentrationslager Theresienstadt (Terezin, Tschechische Republik) deportiert. 

Kurz nach dem Abtransport der letzten jüdischen Familie in Korbach kam auch schon ein NSDAP- Möbelwagen, der das gesamte Hab und Gut der Familie Lebensbaum mitnahm.

Nachdem die Nationalsozialisten 1939 mit der „Zerschlagung der Tschechoslowakei“ die Herrschaft über Böhmen und Mähren und somit über Theresienstadt erlangten, nutzten sie die Anlage für ihre verbrecherischen Absichten. Für Propagandazwecke oder für Filmaufnahmen von „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ kurzzeitig hergerichtet, herrschten hier unmenschliche Zustände.

 

  

 

 

 

KZ Theresienstadt

 

 

 

 

 

Viele Juden starben an Seuchen oder wurden nach Auschwitz oder in andere Vernichtungslager deportiert. Nur wenige Juden überlebten und kehrten in ihre Heimatorte zurück, andere Anlaufstellen hatten sie ja nicht.

Nach Befreiung des Konzentrationslagers Theresienstadt durch die Alliierten kehrte auch die Familie Lebensbaum am 20. Juli 1945 nach Korbach zurück. Bernhard Lebensbaum wurde mit Wirkung vom 01.07.1945 wieder in den Postdienst eingestellt, rückwirkend zum 01.01.1940 zum Oberpostsekretär befördert. Aufgrund seiner körperlichen Gebrechen war es im nicht mehr möglich, seinen Dienst anzutreten und er wurde auf seinen Antrag hin zum 31.10.1948 in den Ruhestand versetzt. Für die wenigen Überlebenden des Holocaust in Korbach fungierte er als Vertrauensmann und Ansprechpartner. Eine Jüdische Gemeinde gab es nicht mehr.


Meldekarte B

Eintrag: Theresienstadt, Einwohnermeldekarte von Bernhard und Therese Lewin Lebensbaum

„Früher musste man diese Leute meiden, aber jetzt war man in der Nachbarschaft wieder eine Gemeinschaft.“, so wurde die Rückkehr der Familie Lebensbaum von einer Nachbarin beschrieben. Sogar Geschenke erhielt die Familie.

Die Töchter Gertrud und Ruth Lebensbaum emigrierten am 23.08.1946 in die USA, wo sie eine neue Heimstatt fanden. Beide verstarben bereits 1969 und 1980 nach schwerer Krankheit.

Nachdem Bernhard Lebensbaum am 20.01.1954 verstorben war, folgte die Mutter ihren Kindern 1956 in die USA, wo sie am 21.10.1985 verstarb.


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 Der Grabstein von Bernhard Lebensbaum auf dem jüdischen Friedhof in Korbach

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