Die Geschichte der jüdischen Gemeinde Korbach
Niederlassungsbeschränkungen
Die Handelstätigkeit der Schutzjuden war offenbar recht
erfolgreich und rief den Widerstand der eingesessenen
Gewerbetreibenden hervor. Es kam zu Protesten gegen weitere
Niederlassungserlaubnisse, die bewirkten, dass der
Waldecker Fürst im Jahr 1788 den Landständen zusicherte,
keine weiteren Niederlassungserlaubnisse mehr zu erteilen, bevor die Judenschaft im Lande bis auf 20 Familien
ausgestorben oder sonst vermindert sein würde.
Eine Ausnahme sollte für hinterlassene Söhne inländischer
(in Waldeck bereits ansässiger) Juden gelten, an
denen aus wirtschaftlichen Gründen ein besonderes Interesse
bestand . Sie mußten sehr vermögend und gute Bürger
sein. Auch für Juden , die ein großes Vermögen ins
Land brachten, sollten Sonderrechte gelten.
Der Korbacher Magistrat pochte sehr auf die Einhaltung
der fürstlichen Zusage bezüglich der Niederlassungsbeschränkung. Hierzu folgendes Beispiel:
Am 20. Mai 1801 wird der Stadt vom Fürsten mitgeteilt,
dass dem ältesten Sohn des verstorbenen Schutzjuden Samuel
Moses der Schutz gewährt werden solle, weil es unbillig
sei, den Kindern des Verstorbenen den stillschweigend
auf sie übergegangenen väterlichen Schutz zu
entziehen, zumal sie das rückständige Schutz- und Nahrungsgeld
bis auf einige Hundert Reichstaler abgetragen
hätten.
Diese Absicht des Fürsten rief den Widerspruch der Stadt
Korbach hervor, die den Fürsten mit Schreiben vom
11.2.1802 an sein den Landständen gegebenes Versprechen
erinnerte.
Die Fürstliche Regierung erwiderte am 1. Februar 1802,
dass im Hinblick auf die Convention von 1788 kein Widerspruch
vorliege, weil sich der Fürst ausdrücklich vorbehalten
habe, dass bei den Söhnen inländischer Juden, sofern
sie vermögend und fleißige Leute wären, eine Ausnahme
gemacht werden solle. Moses Samuel legte am 21.
Dezember 1801 den Huldigungseid ab, und die Stadt
Korbach wurde angewiesen, ihm den Schutz ungehindert
angedeihen zu lassen.
Die Stadt Korbach opponierte aber trotzdem weiterhin
gegen die Schutzgewährung und machte in einer Eingabe
vom 11. Februar 1802 unter anderem darauf aufmerksam,
dass durch die Juden Handel und Gewerbe der eingeborenen
Christen zurückgebracht wurden und bereits neun jüdische
Familien mit 59 Seelen in Korbach ansässig seien. Es
wurde um Rücknahme des Schutzes gebeten. Widrigenfalls
wurde mehr oder weniger versteckt angedroht, die Landstände
zu mobilisieren und das Reichskammergericht einzuschalten.
Ob das geschah, ist nicht überliefert. Jedenfalls
blieb es bei der Entscheidung, denn die Familie
Moses (später Mosheim) blieb in Korbach ansässig und
entwickelte sich zu einer angesehenen Korbacher Kaufmannsfamilie.
Aus diesen und anderen Beispielen, so im "Korbacher Bürgerrechtsstreit"
(siehe Seite 11) geht die sehr ablehnende
Haltung des Korbacher Magistrats hervor, während
die Waldeckische Landesregierung und der Fürst durchweg
nachgiebiger und liberaler waren, was die Stadt zu mehr
oder weniger versteckten Angriffen gegen den Fürsten
veranlaßte, dem man allerdings einräumte, dass er sich
von den Juden habe täuschen lassen und dass den Juden
eingeräumte Rechte von diesen unrechtmäßig erschlichen
wurden.
Aufhebung von Beschränkungen und Sonderabgaben
Die durch die französische Revolution von 1789 bereits
bewirkte Gleichstellung der Juden in Frankreich, die
später auch in den unter französischer Herrschaft stehenden
Gebieten Deutschlands gilt (so zum Beispiel in
Kurhessen, das von 1806 bis 1813 zu dem von Napoleon gegründeten
Königreich Westfalen gehörte), kam es auch im
Fürstentum Waldeck zu Ansätzen einer Liberalisierung der
Judengesetzgebung. Im Jahr 1804 wurde der Leibzoll aufgehoben
bzw. er wurde nur noch von auswärtigen Juden
gefordert, die aus Ländern kamen, in denen er noch erhoben
wurde.
Am 28. Januar 1814 erging im Fürstentum ein Organisationsedikt,
das in § 48 die rechtliche Gleichstellung von
Juden und Christen beinhaltete. Vom 1. April 1814 an
entfiel auch die Zahlung des Schutzgeldes. Gegen die Bestrebungen
zur Judenemanzipation gab es mannigfaltigen
Widerstand. Die Landstände beschwerten sich, die Innungen
und Gilden und die Städte erhoben Einwände, insbesondere
die Stadt Korbach wehrte sich vehement gegen die
Gleichstellung der Juden und es kam zu dem als "Korbacher
Bürgerrechtsstreit" in die Geschichte eingegangene
Auseinandersetzung zwischen dem Korbacher Magistrat,
insbesondere dem Bürgermeister Hofrat Wigand einerseits,
und dem Fürsten von Waldeck sowie der Korbacher Judenschaft
auf der anderen Seite.
Die Gleichberechtigung der Juden war trotz des Edikts
von 1814 zunächst noch als sehr theoretisch anzusehen;
in der täglichen Praxis änderte sich vorerst bis auf den
Fortfall von Leibzoll und Schutzgeld nicht allzu viel.
Die Niederlassung von Juden in Waldeck blieb beschränkt
und war von einer besonderen Erlaubnis abhängig. Obwohl
das Schutzgeld entfallen war, wurde für die Heirats- und
Niederlassungserlaubnis Geld erhoben.
Als zum Beispiel im Jahr 1830 Sirnon Wittgenstein (ein
Sohn des Hoffaktors Moses Meier Wittgenstein), um Erlaubnis
zur Eheschließung mit Ida Wittgenstein aus Bielefeld
bzw. um die eheliche Niederlassung in Korbach
bat, befürwortete der Stadtmagistrat zwar den Antrag,
regte aber an, Sirnon Wittgenstein solle wenigstens 400
Reichstaler zur Reparatur der Kirchen und Schulhäuser
zahlen. Als Begründung wurde auf die schlechte wirtschaftliche
Lage der Stadt und auf die dringend erforderliche
Reparatur der Stadtmauer verwiesen, die an verschiedenen
Stellen eingefallen sei.
Aus einer anderen Quelle (Festschrift anläßlich des
250jährigen Jubiläums des Landeshospitals Flechtdorf im
Jahr 1952) ist überliefert, dass für die Erlaubnis zur
Heirat und ehelichen Niederlassung Beträge an das Landeshospital
zu entrichten waren.
Erst als Folge der Revolution von 1848, des Fortfalls
der innerdeutschen Zollgrenzen, der Bildung des Norddeutschen
Bundes und letztlich durch die Gesetzgebung im
Zusammenhang mit der Gründung des Deutschen Reiches im
Jahr 1871, wurde die volle rechtliche Gleichstellung der
Juden bewirkt.
Streit um das Bürgerrecht
Gestützt auf den § 48 des Organisationsedikts von 1814
beantragten im gleichen Jahr die Juden Moses Meier Wittgenstein
und Salomon Sirnon (Schwager v. M. M. Wittgenstein)
das Korbacher Bürgerrecht. Beide waren damals
schon sehr wohlhabend und betrieben den Export von heimischen
Erzeugnissen, zum Beispiel Wolle, Leinen und
Stoffen. Der Magistrat, der die Aufnahme als Bürger verweigerte,
ließ sich auch nicht durch einen entsprechenden
Befehl des Fürsten hierzu bewegen; auch Strafandrohungen
wegen Ungehorsams änderten hieran nichts. Die
Stadt konnte mit stets neuen Weigerungsgründen die Aufnahme
als Bürger hinauszögern. Man warf den Antragstellern
unter anderem unpatriotisches Verhalten und
Paktieren mit Napoleon vor. Nun mag bei der städtischen
Weigerung mitgespielt haben, dass die Stadt Korbach von
alters her den Anordnungen der Landesherren nicht gerade
willig nachkam, was bereits im Jahr 1366 zur Besetzung
der Stadt durch den Grafen und Gefangennahme der unbotmäßigen
Ratsherren führte. Auch konnte es der nach dem
Selbstverständnis der damaligen Zeit herrschende Bürgerstolz
kaum zulassen, dass Angehörige des immer noch
"fremden" Volkes Israel gleichberechtigte Bürger sein
und über die Geschicke der Stadt mitbestimmen wollten,
denn zu dieser Zeit besaßen von den ca. 2000 Korbacher
Einwohnern nur etwa 200 das Bürgerrecht.
Unter der Führung der wohlhabenden und entsprechend
selbstbewußten Familie Wittgenstein, die sich als bedeutender
Steuerzahler im Land Waldeck des fürstlichen
Wohlwollens erfreuen konnte, verweigerte die damals
schon gemeindlich organisierte Korbacher Judenschaft die
Zahlung des Nahrungsgeldes an die Stadt und zahlte auch
nicht mehr den Beitrag an die Kaufmannsgilde, den sie
bis dahin entrichtet hatte, obwohl die jüdischen Händler
nicht in die Kaufmannschaft aufgenommen wurden. Die
Stadt ließ ihrerseits das rückständige Nahrungsgeld
durch Pfändung beitreiben. So ging der Streit jahrzehntelang
hin und her und wurde erst beendet, als die fortschrittlich-
liberalen Ideen der Märzrevolution 1848 in
Waldeck Eingang fanden und die Stadt Korbach zur Aufnahme
der Juden als Bürger bewegten.
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