Legalisierter Raub. Der Fiskus und die Ausplünderung der Juden in Hessen 1933 - 1945

Das Schicksal der Familie Löwenstern

 

Als die Familie des jüdischen Korbacher Viehhändlers Albert Löwenstern 1939 nach Argentinien auswanderte, war die einst vermögende Familie bettelarm. Der Sohn Julius Heinz Löwenstern berichtet: „Wir waren eine alteingesessene Korbacher Familie und sehr verbunden mit den Bürgern der Altstadt. Wir wohnten in der Dalwigker Straße 2, bis man uns als  Juden verfolgte und für Sachen beschuldigte, die wir nie getan haben.“ Der Vater Albert Löwenstern diente im Ersten Weltkrieg. Für seinen Einsatz erhielt er das Eiserne Kreuz. Mit der Machtübernahme beschnitt man die Familie sukzessiv ihrer Erwerbsmöglichkeiten, so dass sie ihr Geschäft 1935/36 aufgeben mussten. Sie lebten fortan von Reserven und dem, was die Kinder erwirtschafteten.

 

Haus Dalwigker Straße 2,
linke Bildseite
(Foto: Stadtarchiv Korbach)

Unmittelbar nach der Pogromnacht 1938 erfolgte die Verhaftung des Vaters und der Söhne Julius Heinz und Bruno. Sie kamen in das Konzentrationslager Buchenwald, den jüngeren Kindern wurde der Schulbesuch mit nichtjüdischen Kindern  untersagt.

Julius Heinz berichtete: Als wir in Weimar ankamen, standen dort zwei lange Reihen von SS. […] Unmenschlich wurden wir zugerichtet, mit Gewehrkolben, Peitschen wurden wir geschlagen. Von da aus wurden wir mit Militärlastautos weitergeschleppt nach Buchenwald. Sechs Wochen waren wir da. […] Kein Essen, kein Wasser, tagelang. Dank dem Internationalen Roten Kreuz sind wir am Leben geblieben […]. Und wir mußten unterschreiben, Deutschland nach einem Jahr zu verlassen. So wurde unser Bankguthaben beschlagnahmt, alles abgenommen, und keiner setzte sich ein für uns, weder Polizei oder alte Freunde.“

Als so genannte „Sühneleistung“ erhielt Albert Löwenstern wie so viele Korbacher Juden einen Bescheid zur „Judenvermögensabgabe“. Die Abgabe war in vier gleichen Teilbeträgen am 15.12.1938, am 15.2.1939, am 15.5.1939 und am 15.8.1939 zu entrichten. Eine fünfte Rate folgte. Obgleich die Familie Ende 1939 emigrierte, wurde vom Finanzamt Korbach eine „rückständige Judenvermögensabgabe“ von 301,20 Reichsmark  vom Auswanderersperrguthaben gepfändet.

Bereits 1934 erhielten die Finanzämter die Möglichkeit, bei Auswanderungsverdacht einen Sicherheitsbescheid in Höhe der Reichsfluchtsteuer zu erlassen. Um „illegale Abwanderung“ zu verhindern, wurden Sicherungsanordnungen erlassen, wie die Sperrung aller Konten, Wertpapierdepots, somit das Verfügungsrecht über Vermögen und Grundbesitz dem Eigentümer entzogen. Dies kam einer finanzrechtlichen Entmündigung gleich und bedeutete den finanziellen Ruin, da jede Kontobewegung genehmigungspflichtig war. Anfänglich noch bei „begründeten Verdachtsmomenten“ (Reisepassbeantragung) angewandt, reichte später die jüdische Abstammung aus. Die Handhabung lag im Ermessensspielraum zuständiger Finanzämter, vorauseilender Gehorsam und antisemitische Gesinnung taten ihr Übriges.

Zuerkannt wurde nur ein geringer monatlicher Freibetrag. Albert Löwenstern stand laut Sicherungsanordnung vom 13. Oktober 1939 ein Freibetrag von 200 RM für sieben Personen zur Verfügung. So musste er zur Bezahlung der Speditionsfirma Wenzel in Kassel, die den Transport und die Kosten für die Verschiffung der Möbel übernahm, die „Freigabe“ von RM 2.000,- bei der Kreissparkasse Korbach beantragen. Über die Freigabe befand der Oberpräsident in Kassel (Devisenstelle), in dessen Ermessen sie lag.

Zum Glück konnte die Familie eine Ausreisegenehmigung nach Argentinien erwirken. Die letzte Nacht vor der Abreise war die Familie auf dem Dachboden eines „führenden Korbacher Nationalsozialisten“ versteckt worden, da man befürchtete, noch durch die Geheime Staatspolizei Kassel verhaftet zu werden.

Albert Löwenstern, seit Buchenwald ein schwerkranker Mann, erhielt dankbarer Weise von einem Korbacher Arzt eine ärztliche Unbedenklichkeitsbescheinigung, ohne die eine Ausreise unmöglich gewesen wäre. Am 23. Dezember 1939 verließ das Ehepaar Löwenstern mit fünf Kindern Korbach. Sie gelangten am 18. Januar 1940 mit dem vorletzten Emigrantenschiff nach Buenos Aires. Kurz darauf verstarb der Vater an den Verletzungen seines KZ-Aufenthaltes. Die Mutter Bella Löwenstern musste - auf sich allein gestellt - fünf Kinder durchbringen. Sie standen vor dem Nichts, hatten kein Geld und beherrschten die Landessprache nicht. Die Menschen, die sie aufnahmen, waren aber sehr hilfsbereit. In der Provinz Santa Fee wurde ihnen ein Stück Land zugeteilt, das sie rodeten. Sie machten es urbar, fingen Wildpferde und bauten sich unter erbärmlichsten Bedingungen eine kleine Existenz auf.

Sie waren noch vergleichsweise privilegiert,  da sie Umzugsgut im Wert von 1250 RM mitnehmen konnten (u.a. Wäsche, Hausrat, Geschirr, Konserven, Lebensmittel, Bettzeug, Hygieneartikel, Arbeitsgeräte, Werkzeug und Kleinmöbel), mehr als 500 Artikel. Wenigen Korbach Juden war diese Möglichkeit vergönnt.

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