Schlagetergedenkstein
(Denkmäler als historische Quelle)
Denkmäler unterscheiden sich von anderen Kunstobjekten nicht nur durch ihre Symbolik, Öffentlichkeitspräsenz und Verbreitung. Als historische Quelle fungieren sie immer auch als Seismograph und Spiegelbild gesellschaftlicher Vorstellungen und geben Aufschluss über erzieherische Absichten.
Welche Bedeutung hatte aber der Korbacher Schlagetergedenkstein, der sich ehemals vor dem Südportal der Kilianskirche befand?
Der „Neustädter Stein“ (oben), der sich heute neben der Stadtbücherei (Professor-Kümmell-Straße) befindet, wurde während des Nationalsozialismus als Sockel des Schlagetergedenksteins (links) missbraucht.
Albert Leo Schlageters Schicksal wurde nicht nur in Korbach zur Symbolfigur der deutschen Nation. Die Nationalsozialisten machten aus Schlageter einen ersten „Märtyrer ihrer Bewegung“. Sie steigerten und instrumentalisierten seinen Bekanntheitsgrad durch zahlreiche Denkmäler und Gedenkveranstaltungen.
Schlageter (1894-1923) war während der Ruhrbesetzung durch französische Truppen an Anschlägen und Sabotageakten beteiligt.
Von den einen als Held verehrt, den anderen als Saboteur angesehen, wurde er am 26. Mai 1923 von französischen Besatzern hingerichtet. Die NSDAP ehrte ihn fortan als „Märtyrer“.
Anlässlich des 10-jährigen Todestages Schlageters teilte der Korbacher NSDAP-Ortsgruppenleiter Casselmann am 26. Mai 1933 der in der Mehrheit aus Nationalsozialisten bestehenden Stadtverordnetenversammlung mit, dass die Korbacher Ortsgruppe beschlossen habe, dem NSDAP-Mitglied und „deutschen Nationalhelden“ Albert Leo Schlageter ein Denkmal zu errichten und es anlässlich des 5-jährigen Bestehens der Ortsgruppe Korbach der Stadt zu übergeben.
Einen Tag später kam im Auftrag der NSDAP-Ortsgruppe das Schauspiel „Schlageter“ von Hanns Johst zur Aufführung, dessen Eintrittsgelder einen erheblichen Betrag für das zu errichtende Denkmal erbrachten.
Anzeige vom 26.05.1933, Waldeckische-Landeszeitung
Sogar Reichskanzler Adolf Hitler und Ministerpräsident Hermann Göring wurden zu den Feierlichkeiten eingeladen. Jedoch ließen sich beide entschuldigen. Vertreten wurden sie durch Prinz August Wilhelm von Preußen. Der Absage war zu entnehmen:
„Reichskanzler an Teilnahme am elften wegen anderweitiger früherer Zusage leider verhindert. Entsendung eines Vertreters wird versucht. Reichskanzler [Hitler] wünscht der Feier guten Verlauf.“
Am 11. Juni 1933 war es soweit. Dazu hat man auf dem viele Jahrhunderte alten „Neustädter Stein“, der vorher am Anfang der Allee stand, ein ca. 4 Meter hohes Eisenkreuz einzementiert.
Schlageters Lebensdaten befanden sich auf der Vorderseite, seitlich prangten Hakenkreuze. Hier wurde später aufmarschiert und paradiert.
Nach einem Feldgottesdienst am Schlagetergedenkstein sollten die offizielle Weihe und Enthüllung des Denkmals erfolgen.
Die hiesige Presse berichtete:
„ […] Sonntag. Flaggen über der ganzen Stadt. Fast kein Haus, das nicht mit den Zeichen der nationalen Erhebung oder den Fahnen des Bismarckreiches […] geschmückt ist. Wir wüßten keine Stätte zu benennen, die würdiger für dieses Ehrenmal gewesen wäre, als jener von riesigen Bäumen überdachte Platz vor dem schönen Südportal der alten Kilianskirche. Auf einem vierhundertjährigen großen Stein, der in der Geschichte Alt-Corbachs seine besondere Bedeutung gespielt hat, erhebt sich ein mit Kupferblech bekleidetes Kreuz […]. An der Vorderseite des Steines die Worte Albert Leo Schlageter, an der linken Seitenfläche das Symbol des Dritten Reiches, das Hakenkreuz. […]
Punkt 9 Uhr vormittags sind die Wehrverbände, SA., SS. und Stahlhelm, aufmarschiert, bilden braune, schwarze und graue Kolonnen einen großen Halbkreis um das Mal. Viele Hunderte umstehen das weite Rund, um teil zu haben an dieser weihevollen Stunde […].
Schlagetergedenkstein vor der Kilianskirche
Zum Abschluss der Veranstaltung verlas Ortsgruppenleiter Casselmann den Text jener Urkunde, die zusammen mit einer Hakenkreuzfahne in den Stein eingemauert wurde:
Text der Urkunde
Durch die Totenfeiern zu Ehren „gefallener“ Parteimitglieder wurde eine ästhetische Totenverehrung betrieben. Bei Gedenkveranstaltungen, Totenehrungen, begleitet von Fackelumzügen und Prozessionen wurde der Märtyrertod glorifiziert. Die Bereitschaft, für das „Vaterland“ zu sterben, sollte gefördert werden. Die Vorstellung von der Erhebung durch den Märtyrertod hat so manchen Soldaten des Zweiten Weltkrieges in den Tod getrieben. Bei rationaler und weniger emotionalisierter Betrachtung hätten viele - vor allem junge - Opfer vermieden werden können, denn gerade in den Schlusstagen des Krieges suchten noch viele junge Menschen den Heldentod.
Emphatische, rauschhafte Bedürfnisse der Menschen nutzten die Nationalsozialisten schamlos für ihre profanen politischen Zwecke aus. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in ganz Deutschland Nazi-Symbole und Straßennamen nazistisch-militaristischer Prägung beseitigt. Auch am Korbacher Schlagetergedenkstein wurden Inschrift und Hakenkreuze entfernt.
Der Sockel, bekannt auch als „Neustädter Stein“, der lange Zeit den Bürgern der Neustadt als Schwurstein und Pranger gedient hatte, befindet sich heute unübersehbar an der Nahtstelle zwischen Korbacher Alt- und Neustadt gegenüber dem Rathausvorplatz. |