Jüdischer Friedhof

(Ansiedlung von Juden/ Bestattungswesen)

 Die Ansiedlung von Juden im damaligen Fürstentum Waldeck begann recht spät. Nachweisbar durften sich die ersten Juden zwischen 1761 und 1764 in Korbach als „Schutzjuden“ (unter fürstlichem Schutz) niedergelassen haben. Bedenkt man, dass eine Verordnung von 1709 das „heimliche Einschleichen“ untersagte, so lässt sich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein rapider Bewusstseinswandel feststellen.

Parallel zur Ansiedlung schien ein jüdischer Friedhof in Korbach erforderlich. Die offizielle Geschichte beginnt am 28. Juli 1769 mit einem Gesuch der jüdischen Gemeinde an den Fürsten von Waldeck mit der Bitte um Erlaubnis zur Anlage eines Bestattungsortes.

Bis dahin wurden die Korbacher Juden auf dem jüdischen Friedhof in Arolsen beigesetzt. Über Jahrhunderte hinweg blieb es vielen jüdischen Gemeinden verwehrt, Begräbnisplätze zu erwerben. Dies lässt sich für Korbach nicht belegen. Eine entsprechende Erlaubnis zur Anlage wurde am 1. August 1769 - unmittelbar nach Antragstellung - erteilt.

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Türpfeiler des Eingangsportals  heute

Es setzte sich die Erkenntnis durch, dass Juden zur Entwicklung von Handel und Gewerbe außerordentlich nützlich sein könnten, da sie über große Erfahrungen und weit reichende Kontakte verfügten.

Im Einvernehmen zwischen dem Magistrat und der jüdischen Gemeinde Korbachs einigte man sich darauf, den Friedhof auf der „Altenstädter Hogger“ (Hauer) zu errichten. Er lag etwas erhöht (vgl. Tempelberg) und außerhalb der Stadt gelegen, was den Vorschriften des Talmuds entsprach.

Heute befindet er sich oberhalb der Bahngleise an der Parkanlage „Hexengarten“ (abgeleitet von Hesporns Garten), zwischen Akazienweg, Hochstraße und Waldecker Straße.

Der älteste Grabstein auf dem jüdischen Friedhof in Korbach soll aus dem Jahr 1772 stammen. Seitdem wurden die Toten der jüdischen Gemeinde auf dem Korbacher Friedhof beigesetzt, der später wegen Platzmangels eine räumliche Erweiterung erfuhr.

Die letzte offizielle Beisetzung fand 1938 statt. Wohl in Voraussicht des kommenden Unheils legte der jüdische Lehrer Moritz Goldwein, seit 1944 im Vernichtungslager Auschwitz verschollen,  im Sommer 1938 ein Grabsteinverzeichnis an.

Nach dieser Auflistung waren 1938 auf dem Friedhof 118 Grabsteine vorhanden (neben einem Gedenkstein der Stadt zu Ehren des „hochherzigen Stifters“ Jacob Wittgenstein). Heute existieren neben diesem und dem Gedenkstein für die Opfer der Judenverfolgung nur noch 114 Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof.

 

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unteres Gräberfeld

Jüdische Friedhöfe werden im Hebräischen auch als „Haus des Lebens“ (Bet-ha-Chaim) oder „Haus der Ewigkeit (Bet olam) bezeichnet und weisen einige Besonderheiten auf.

Zunächst wurden- wenn irgendwie möglich - die Toten mit den Füßen in Richtung Jerusalem begraben  (nach Osten/ Südosten). Dies änderte sich später. Grabsteine befinden sich immer am Kopfende.



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Die Ausrichtung der Grabsteine weist darauf hin, dass die Jüdische Gemeinde Korbachs keineswegs orthodox/ strenggläubig war.

Einer der grundlegendsten Glaubensgrundsätze ist und bleibt aber die Unantastbarkeit der Totenruhe, die es ermöglichte, dass die Gräber über Jahrhunderte erhalten blieben, wohingegen auf christlichen Friedhöfen heute nach Ablauf entsprechender Ruhezeiten die Gräber geräumt werden.

 

Die älteren Grabsteine (18. und erste Hälfte des 19. Jahrhundert)  sind fast ausnahmslos hebräisch beschriftet. Mit fortschreitender Assimilierung (Integration bzw. Anpassung) der Korbacher Juden erhalten Grabsteine nur noch kurze hebräische Inschriften.

Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts waren die Grabsteine jüdischer Friedhöfe verhältnismäßig gleichförmig, weil alle Toten gleich behandelt werden sollten.

Erst mit zunehmender Assimilierung, Rechtsangleichungen und entsprechendem Wohlstand werden die Grabstätten einzelner prunkvoller, wie es auch von christlichen Friedhöfen bekannt ist, eine Tendenz, die seit 1945 in Deutschland rückläufig ist.

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hebräisch beschriftete Grabsteine

 

 

 

 

 

 

 

Da die Juden neben ihrem bürgerlichen Namen auch noch religiöse oder in der Synagoge  verwandte Namen trugen (z.B. beim Lesen der Thora), stehen auf den älteren Steinen vornehmlich ihre religiösen Namen. Eine weitere Besonderheit bestand darin, neben dem eigenen oder religiösen den Namen des Vaters zu vermerken.

Zudem weisen viele ältere nicht das Geburtsdatum, sondern nur – das wichtigere Datum - den Todestag auf, weil nach jüdischem Brauch traditionell am Todestag  ein Gebet für den Verstorbenen gesprochen wird.

Zur Bestattung dienten in der Regel einfachere Holzsärge, da solche aus Edel- oder Eichenholz Juden fremd waren. Der Leichnam wurde einfach bekleidet, mitunter mit einem Totenhemd. Zusätzlich wird der männliche Leichnam in den Gebetsmantel, den Tallit, gehüllt. Die wichtigste Handlung bei der Bestattung ist das Beten des „Kaddisch“, eines Gebetes, in dessen Mittelpunkt die Verherrlichung Jahwes (Gottes) steht.

Friedhöfe gelten wie Synagogen als sakrale Orte, an denen Männer eine Kopfbedeckung (Kippa oder Hut) zu tragen haben. Besuche von Angehörigen kann man an kleinen Steinen auf den Grabsteinen erkennen, früher ein Brauch der Nomaden, der zusätzlich die Toten vor wilden Tieren schützen sollte.

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Blick vom oberen Teil

 

 

 

 

 

Zersetzungsprodukte (Blumenschmuck) gelten als verunreinigend, dennoch gibt es übereinstimmende Berichte darüber, dass Gräber wenig strenggläubiger jüdischer Familien auf dem Korbacher Friedhof mit Blumen bepflanzt waren.

Sieben Gräber können bis heute nicht präzise zugeordnet werden.  Es handelt sich u.a. um die Gräber von Johanna Feldheim (+ 06.07.1939) und Adolf Löwenstern (+ 27.04.1940). 1942 und 1945 gab es noch jeweils zwei Beisetzungen. Unter ihnen befand sich die Urnen-beisetzung des im Konzentrationslager Oranienburg-Sachsenhausen verstorbenen Siegmund Weitzenkorn. Auf sich alleingestellt, musste die erst dreizehnjährige Tochter Marianne die Asche ihres Vaters in Korbach entgegennehmen. Im Beisein der wenigen noch nicht in Konzentrationslager verschleppten Korbacher Juden fand die Beisetzung statt. Die Mutter, bereits seit September 1941 in Lagern interniert, konnte ihrer Tochter nicht beistehen. Sie verstarb am 24.10. 1942 im Vernichtungslager Auschwitz.

Lebensbaum B

Nach 1945 fanden nur noch zwei Beisetzungen auf dem jüdischen Friedhof statt:  Rosa Kaufmann wurde am 23.02.1950 (verstorben am 20.02.1950) und Bernhard Lebensbaum am Sonntag, dem 24.01.1954
(verstorben am 20.01.1954), in Korbach beigesetzt.

 

Todesanzeige, Waldeckische Landeszeitung vom 22.01.1954

 

 

1947 ließ die Stadt Korbach den „Opfern der Verblendung“ einen Gedenkstein nach Entwürfen von Karl Eduard Bangert errichten. Auf diesem stehen die 42 Namen der in Konzentrationslagern getöteten oder verschollenen Bürger.

Gedenkstein

Gedenkstein für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus

 

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nahm die Stadt Korbach den Friedhof in ihre Obhut. Seitdem wird er von städtischen Gärtnern gepflegt.

Copyright © Marion Lilienthal

Technische Realisierung: Anne Kersting, Dominic Antony