Chronik der Entrechtung von 1933 – 1938

Die folgende Chronik stellt eine Übersicht über die systematische Entrechtung, Diskriminierung und Isolierung der jüdischen Bevölkerung in der Zeit von 1933 bis Oktober 1938 dar.

 

30.01.1933

Ernennung Hitlers zum Reichskanzler

 

1. April 1933

Boykott jüdischer Geschäfte durch SA und SS im gesamten Reichsgebiet

 

Besonders massiv war das Kaufhaus Markhoff in der Korbacher Innenstadt betroffen. So zogen am Sonnabend, dem 1. April 1933, „punkt“ 10 Uhr, SA-Posten vor Korbacher jüdischen Geschäften auf. Bereits in der Nacht hatte man Schaufenster jüdischer und vereinzelt auch anderer Geschäfte mit weißer Farbe beschmiert, die zum Teil judenfeindliche Inschriften und Karikaturen trugen.

 

 

 

SA-Männer mit Transparenten vor dem Kaufhaus Markhoff, 01.04.1933

 

 

14. Juli 1933

Gesetz über den „Widerruf von Einbürgerungen und über die Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft“: Betroffen sind vor allem die nach 1918 eingebürgerten Juden aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten.

 

22. Juli und 4. Oktober 1933

Arbeitsverbot für jüdische Künstler und Redakteure

 

1934

Antijüdische Propaganda. Jüdische Geschäfte wurden in besonderem Maße Zielscheibe nationalsozialistischer Attacken. Allein zwischen dem 29.3. und 16.4.1934 gingen bei sechs jüdischen Bürgern Korbachs Scheiben zu Bruch und wurde Eigentum beschädigt, u. a.: 

 

 

 

1.) 29./30.3.34 zwei Schaufensterscheiben des Kaufmannes Julius Löwenstern eingeschlagen.

2.) 31.3.34 Schaufensterscheibe des Kaufmanns Nussbaum durch zwei Schüsse zertrümmert und ein Schuss auf die Schaufensterscheibe der Witwe Löwenstern abgegeben.

3.) 7.4.34 Firmenschild des Kaufmanns Mosheim zertrümmert, der Lagerschuppen mit Farbe beschmiert und das Dach des Schuppens mit den Worten beschmiert: »Corbach erwache.«“

 

Weitere entwürdigende Praktiken sollten folgen.

 

 

Antijüdische Propaganda,

Herbst 1934

 

 

 

 

Nationalsozialisten bekundeten unverhohlen in der Professor-Bier-Straße, wie sie mit Personen verfahren würden, die noch „zum Juden stehn“.

  

 

 

      Beschriftung:   „Halali“

„So müsst es Allen denen gehen,

die heute noch zum Juden stehn.“

 „Tobt auch die Reaktion,

wir tragen

doch den Sieg davon!“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Professor-Bier-Straße, Oktober 1934, die Stelle findet man heute, wenn der Blick oberhalb der Metzgerei Tent in Richtung Nikolai-Kirche gerichtet wird.

 

 

21. Mai 1935

Ausschluss von „Nichtariern“ vom Wehrdienst

 

Sommer 1935

Beginn der Aufstellung von „Juden unerwünscht“ - Schildern an Ortseingängen, Gaststätten und Geschäften

 

In einem Propagandamarsch führte man die judenfeindlichen Schilder im Sommer 1935 durch Korbach, um sie anschließend an festgelegten Stadteingängen aufzustellen.

 

 „Halt!
Bist du Jude, dann mach kehrt!
Hier wird der Eintritt dir erschwert.
Wenn auch „christlich“ du getüncht,
bei uns sind Juden unerwünscht!“

„Halt!
Bist du Deutscher, dann bleibe fest!
Meide den Juden wie die Pest!
Schließe die Tür, laß ihn nicht ein,
dein Enkel noch wird dir dankbar sein!“

„Deutsche Mädels, deutsche Frauen!
Hütet euch vor Judenklauen!
Wer den Juden hat erkoren,
ist fürs deutsche Volk verloren!“

„Wanderer,
trittst du in diese Stadt,
bedenk, daß sie deutsche Geschäfte hat!
Kaufst du das Kleinste beim Juden ein,
wirst du immer ein Judenknecht sein.“

 

Aufstellung des antijüdischen Schildes „Wanderer, trittst du in die Stadt“ in der Arolser Landstraße, August 1935

 

15. September 1935

„Nürnberger Gesetze“: Mit dem „Reichsbürgergesetz“ und dem „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ werden den deutschen Juden die staatsbürgerlichen Rechte genommen, Eheschließungen sowie außereheliche Beziehungen zwischen "Juden" und staatsangehörigen Deutschen werden verboten.

 

14. November 1935

Mit der ersten Verordnung zum „Reichsbürgergesetz“ wird verfügt, dass alle Juden ohne Ausnahme aus dem Staatsdienst zu entlassen sind.

 

29. Januar 1936

Im Olympiajahr werden Schilder mit extremen antisemitistischen Aufschriften vorübergehend entfernt.

 

26. April 1938

Verordnung über die Anmeldung jüdischen Vermögens über 5.000 Reichsmark - Vorbereitung für die Ausschaltung aus der Wirtschaft

 

Juni 1938

Listen über vermögende Juden werden bei Polizeirevieren und Finanzämtern angelegt.

 

14. Juni 1938

Registrierung und Kennzeichnung jüdischer Gewerbebetriebe

 

15. Juni 1938

„Juni-Aktion“: Verhaftung von rund 1.500 „vorbestraften“ jüdischen Bürgern und Verschleppung in Konzentrationslager. Als Vergehen genügte beispielsweise ein Verkehrsdelikt.

 

23. Juni 1938

Einführung einer Kennkarte für jeden Juden ab dem 1. Januar 1939.

 

25. Juli 1938

Berufsverbot für jüdische Ärzte.

 

17. August 1938

Mit einer Verordnung des Reichsinnenministers wird festgelegt, dass alle jüdischen Bürger ab 1. Januar 1939 zwangsweise die zusätzlichen Vornamen „Israel“ bzw. „Sara“ zu führen haben.

 

27. September 1938

Berufsverbot für alle jüdischen Rechtsanwälte

 

5. Oktober 1938

Kennzeichnung der Reisepässe von Juden mit einem großen „J“

 

28. Oktober 1938

Ausweisung von 15.000 bis 17.000 „staatenlosen“, früheren polnischen Juden, die teilweise schon seit Jahrzehnten im Deutschen Reich leben, nach Polen.

  

© M. Lilienthal, 2009

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